Die Digitalisierung verändert nicht nur Produktionsprozesse, sondern auch das Recruiting und das gesamte HR-Management. Die Personalabteilungen müssen sich von gewohnten Denkmustern verabschieden. Lesen Sie in diesem Artikel, wie Sie im digitalen Zeitalter Talente finden und Mitarbeiter Bindung in Ihre Unternehmensphilosophie integrieren.
Digitaler War for Talents
Den War for Talents gab es schon immer, als geflügeltes Wort brachte den Begriff die Unternehmensberatung McKinsey 1997 in einer Studie ins Spiel. Er hat sich allerdings in den letzten zwanzig Jahren verändert. Dafür sind zwei Entwicklungen verantwortlich:
Durch eine boomende Weltwirtschaft steigt die Konkurrenz um fähige Nachwuchskräfte, gleichzeitig hat die Digitalisierung die Informationslage gründlich verändert. Beide Seiten – Unternehmen und Arbeitnehmer – können sich heute deutlich schneller, umfassender und gezielter über die Angebote der jeweiligen Gegenseite informieren.
Unternehmen erhalten deutlich mehr Bewerbungen als früher, weil diese auf dem Online-Weg nichts mehr kosten. Nur mit modernen Software-Tools können sie geeignete Kandidaten ausfiltern. Diese wiederum verschicken ihre Bewerbung, weil das nichts außer Zeit kostet, an viel mehr Unternehmen als früher. Es ist vollkommen normal, dass ein Arbeitnehmer auf der Suche nach einer neuen Stelle mal eben 100 Online- oder E-Mail-Bewerbungen am Stück absetzt. Nächste Woche wiederholt er vielleicht den Vorgang, wenn er die nächsten 100 Unternehmen mit interessanten Stellenauschreibungen identifiziert hat. Beide Seiten müssen mit der dadurch entstehenden Informationsflut umgehen können. Auch der Bewerber sollte die Adressen der angemailten Unternehmen und deren Reaktionen digital verwalten.
Ein Ende dieses digitalen Transformationsprozesses ist bislang nicht in Sicht. Um für den War for Talents gerüstet zu sein, müssen die Unternehmen mit erstklassigen Modulen für das Recruiting arbeiten. Es gilt, aus der Flut von Bewerbungen – in Großkonzernen können täglich einige Tausend eingehen – mit automatischen Programmen die wirklichen Talente auszufiltern, mit denen anschließend ein Einstellungsgespräch geführt wird. Wenn diese Schnittstelle zwischen digitaler Bewerbung und digitaler Filterung nicht richtig funktioniert, weil beispielsweise zu enge Kriterien für die Auswahl programmiert wurden, kann das Unternehmen schon an dieser Stelle den digitalen War for Talents verlieren.
Wie ist die Fachkräftesituation wirklich beschaffen?
Die beschriebene Informationsflut besagt noch nichts über das tatsächliche Gleichgewicht oder Ungleichgewicht zwischen Bewerbern und offenen Stellen. Ein einfaches Beispiel: Wenn ein Unternehmen auf eine Stelle 300 Bewerbungen erhält, sieht es so aus, als ob die Zahl der Interessenten die Zahl der offenen Stellen um das 300-Fache übersteigt. Wenn aber alle 300 Interessenten 300 Bewerbungen abgesetzt hätten, wären wir bei einem Verhältnis von 1:1 zwischen offenen Stellen und Bewerbern. Etwas näher kommen wir der Wahrheit mit der Zahl der offiziell gemeldeten offenen Stellen, die beispielsweise im deutschen MINT-Bereich (Mathematik-Informatik-Naturwissenschaft-Technik) im Frühjahr 2018 bei 1,2 Millionen lag. Das geht aus dem Report des Instituts der-deutschen Wirtschaft hervor. Diese Fachkräfte fehlten den Unternehmen tatsächlich – wenigstens für die Zeit bis zur Besetzung der Stelle, die in Deutschland derzeit durchschnittlich 100 Tage beträgt. Wie können Unternehmen auf diesen wirklich signifikanten Fachkräftemangel reagieren?
Werbung um Fachkräfte: ehrliches Employer Branding
Die Firmen feilen intensiv an ihrem Employer Branding, also der Entwicklung einer Arbeitgebermarke, doch sie müssen dabei ehrlich sein. Sie sollten also nichts versprechen (flexible Arbeitszeiten, agile Arbeitsmethoden, Transparenz, interessante Aufgaben, Selbstverantwortung, das denkbar beste Betriebsklima und ein überdurchschnittliches Einkommen), das sie in der Praxis nicht einhalten können. Bei einer Diskrepanz zwischen Versprechen und Wirklichkeit verlassen neu gewonnene Fachkräfte sehr schnell wieder das Unternehmen. Die zentrale Rolle spielt dabei das Personalwesen. Die Personalverantwortlichen müssen heute neben dem traditionellen HR-Handwerkszeug (Stellenauschreibungen, Bewerberauswahl, Mitarbeiterentwicklung) auch imstande sein, das eigene Unternehmen, dessen Arbeitsaufgaben und die Verantwortungsbereiche zu verkaufen. Bewerber müssen die Details so interessant finden, dass sie “gern bis unbedingt” bei diesem Unternehmen arbeiten möchten.
Des Weiteren erwartet man vom modernen Personaler, dass er ein Sparringspartner für Führungskräfte ist, die er bei der Anleitung von Mitarbeitern unterstützen kann. Es findet damit neben der digitalen Transformation auch eine HR-Transformation statt. Das Human Resource Management wandelt sich von einer administrativen Dienstleistung zu einer Beratungs- und Verkaufsleistung gegenüber den Führungskräften und den Bewerbern. Für die Verkaufsleistung müssen Personaler die grundsätzlichen Regeln des Verkaufs genauso kennenlernen wie die Vertriebsmitarbeiter. Sie brauchen also ebenso Verkaufstrainings.
Branding von Unternehmenswerten
Wer im digitalen Zeitalter, das Werte so einfach vergleichbar macht, moderne junge MitarbeiterInnen binden will, braucht die richtigen Unternehmenswerte (ökologisch, nachhaltig, sozial, vielleicht ein bisschen hipp), die wiederum geschickt und vor allem digital im Employer Branding kommuniziert werden. Stellen Sie sich vor, dass der Hochschulabsolvent googelt: “Suche ökologisches Chemieunternehmen.” Vielleicht sind Sie ja aus Ihrer Sicht so ein Unternehmen, vielleicht ist aber auch die Begrifflichkeit etwas überspannt. Man wird diesem jungen Menschen, falls man ihn einstellt, die Grenzen einer rein ökologischen Chemieproduktion behutsam erklären müssen.
Zunächst aber ist seine Intention legitim, bei gutem Studienabschluss und ausreichendem Talent würden Sie ihn sehr gern einstellen. Die Herausforderung besteht nun darin, im Employer Branding als suchmaschinenrelevanten Begriff “ökologisches Chemieunternehmen” unterzubringen. Vielleicht lassen Sie Blogbeiträge schreiben, die diese Begrifflichkeit als Fragestellung formulieren: “Gibt es ein ökologisches Chemieunternehmen?” Von diesen Beiträgen verlinken Sie auf sich, das relativ saubere Chemieunternehmen, das gesetzlich vorgeschriebene Standards übererfüllt bzw. Grenzwerte unterbietet.
Digitales Employer Branding für die Generation Y
Für die Generation Y – junge Arbeitnehmer mit Geburtsjahr ab 1990 – kann das Employer Branding komplett digital stattfinden. Diese Generation informiert sich nur noch online. Sie hinterfragt übrigens den Zweck von Unternehmen und will einen nachhaltigen, moralischen Sinn erkennen. Auch der übergreifende Handlungsrahmen und das soziale Engagement sind wichtig. Das Employer Branding muss diese Aspekte glaubhaft integrieren. Wenn das nicht gelingt, wendet sich die Generation Y sehr schnell ab. Sie tippt auf das Smartphone-Display und informiert sich über den nächsten Arbeitgeber.